Netz
Netz
Erster Dezember. Verdammter Dezember! Excel, Outlook, Intranet, öde, fade Bürohockerei, Mausklickerei, Tastentipperei, noch den ganzen Dezember. Aus dem Fenster sich sehnen hilft nicht, da draußen ist trübes Licht, verhangen der Himmel und das alte Gras braun zertrampelt. Kein Stück mehr Leben da draußen als drinnen.
Ich träume also vom Leben, gelebt im Juli. Da war Excel, Outlook, Intranet, öde, fade Hockerei, Klickerei, Tipperei, natürlich drinnen, wie im Dezember. Ja, aber draußen! Draußen, im Juli, da war was los!
Prall gefressen war im Juli die Kreuzspinne in ihrem Netz, das sie im Mai mir vor das Fenster hinter dem Monitor gespannt. Dankbar lauerte ich jeden Tag mit ihr zusammen auf Beute. Ich zählte die Fliegen: nur eine heute.
Doch am vierzehnten Juli um fünfzehn Uhr zehn, da fliegt eine Wespe zu uns ins Netz. Wildes Gezappel – wird es wohl halten? Vom Rande her schießt sie, die runde Riesin, (meine Gute!) zum Kampfort ins Zentrum. Die Wespe, nur halb so groß, chancenlos. Nein! Sie biegt ihren spitzen Hintern, der Stachel fährt aus! Meine Spinne, die Gute, arbeitet emsig, packend und drehend und wickelnd. Sie wird es doch schaffen? Nein! Zack! – der Stachel ist fix und fest, und trifft. Oh! Dieses gelb-schwarze Biest! Meine Gute klappt ihre Beine ein, und dann bewegt sich nichts mehr. Aus! Wie schade, jetzt ist sie tot.
Die Wespe randaliert noch ein Weilchen, bevor sie befreit davonfliegen kann. Stille im Netz. Absolut. Schluss mit dem Abenteuer am Fenster. Excel, Outlook, Intranet. Hockerei, Klickerei, Tipperei. Da bewegt sich was! Sie lebt! Sie war nur gelähmt! Sie ist wieder da! Ich könnte sie küssen! Ach nein, das nun doch nicht. Ich bewundere sie, meine Gute, wie sie, kaum genesen vom giftigen Stich, sofort unser Netz reparieren geht. Was für ein Leben im Juli!
Ach der Dezember! Verdammter Dezember!
Warnsignal
Das dumpfe Dröhnen eines Warnsignals absorbiert plötzlich alle Aufmeksamkeit, die sich eben noch müde auf die Tageszeitung richtete, und zieht meine Neugier zum Fenster hin, wo sich nach und nach erst das eigene Spiegelbild, dann die Gewöhnlichkeit des Ausblicks auf Fluss und Felsen zeigen. Aus dem Halbdunkel der Gewöhnlichkeit schält sich mit gemächlicher Kontinuität die alte, schwarze Lock. Dampfend und zischend hüllt sie die folgenden Wagons der Reisegesellschaft in Nebel, während sie diese unaufhörlich nach rechts zieht. Mit unschuldig kindlicher Begeisterung für bewegte Masse folgt mein Bewusstsein dem massiven Stahl, beschäftigt sich kurz mit Sicherheit, tritt zurück und erschrickt.
Das Schwarze und das Braune
Es ist nicht da. Manchmal sehe ich es monatelang nicht, obwohl ich jeden Tag Ausschau halte. Manchmal ist es schwarz, manchmal braun. Heute weder noch. Das einzige, was sich jetzt an dem Baum vor meinem Bürofenster bewegt ist ein letztes Blatt. Das, was noch von einem Blatt übrig ist. Der verdorrt zerknüllte Schnitzel bewegt sich auch nur hin und her. Etwas hin und her, kaum zu erkennen. Hin und her—nicht auf und ab, den ganzen Stamm entlang, nicht manchmal auch die Äste hinaus, auch nicht—ganz selten—weg vom Baum, wie es mein Freund sonst tut. Meine beiden Freunde, das Schwarze und das Braune. Wo sie nur sein mögen?
Winterwiese
Wenn ich mich vom Schreibtisch umdrehe und rechts über meine Schulter blicke, kann durch das etwas schmutzige Fenster auf unseren Hof blicken. Der heftige Wintereinbruch hat die Wiese mit den Obstbäumen vor unserem Haus mit einer dicken Schneeschicht bedeckt, Nebel hängt über dem Wald dahinter. Die Bise hat alle Bewegung scheinbar eingefroren. Das macht haltbar, wenn der Frühling nächstes Jahr die Wiese, die Bäume und den Wald auftaut, ist alles fast wie neu. Doch die Bise friert nicht nur ein, sondern sie bewegt auch, nämlich das kleine Stück Zweig des Marillenbaums direkt vor meinem Fenster und den blattlosen Strauch vor dem Silo.
Innenhof
Ist schon dunkel draußen, ich muss mich anstrengen, etwas zu erkennen, das sich bewegt, ich sehe schlecht, bräuchte eine Brille. Es gibt eine Sache in diesem Innenhof, die ich immer sehe, egal welchen Platz ich zwischen meinen Möbeln eingenommen habe. Sie ist immer in Bewegung, mal von links nach recht, mal von rechts nach links, es ist der Dampf von einem Schornstein. Er gehört zu einem kleinen Hinterhaus im Innenhof, wo früher oft Handwerker gearbeitet haben. Heute bewegt sich der Dampf nicht zügig in eine Richtung, er wechselt, quillt nach unten, dann wieder in Fetzen nach vorne. Hinter dem Dampf bewegt sich ein Mann im beleuchteten Zimmer vor einem Bücherregal. Was der wohl macht?
Züge
am Horizont die Stadt unten ein Biergarten
und dahinter fahren die Züge durch den zukünftigen Park und verschwinden in einem Tunnel unter der Stadt.
die ersten Wochen waren die hell erleuchteten Züge in der Nacht noch interessant wie eine Modelleisenbahn.
imagination
in der mitte steht ein apfelbaum. blätterlos unbeweglich. wenn man genau guckt, dann sieht man, dass er sich doch bewegt. und zwar ganz sacht von links nach rechts und von rechts nach links. er schwankt im wind. ansonsten sehe ich das eichhörnchen von hinten. es steht am fuß des baumes. es dreht das köpfchen ruckartig nach rechts zur straße hin. es lokalisiert die gefahr richtig. dann springt es mit einem satz den stamm hoch und rast behende hinauf. solche szenen könnte ich vielleicht sehen, wenn der vorhang des fensters nicht zu und es vor allem nicht gerade stockduster draußen wäre.
001 - Dinge vor dem Fenster die sich bewegen
Beschreibe die Dinge, die du von einem Fenster aus siehst, die sich bewegen, wie sie sich bewegen und in welche Richtung.